Schwarz-Weiß-Fotografie von Rosa von Braunschweig, die in einem Raum an einem runden Tisch sitzt. Sie trägt uniformähnliche Kleidung – eine geöffnete Jacke (möglicherweise ein Gehrock), darunter eine weitere Jacke mit aufgestelltem Kragen. Auf dem Kopf trägt sie eine Schirmmütze. Sie hält Dokumente, vermutliche eine Zeitung in den Händen, in der rechten Hand hat sie eine Zigarette zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt. An einem der Knopflöcher ihrer Jacke ist eine Kette befestigt, an der möglicherweise eine Uhr hängt. Auf dem Tisch vor ihr, von dem nur ein Teil sichtbar ist, liegt ein Gegenstand, vielleicht ein kleines Buch. Im Hintergrund rechts ist eine Tür, daneben links eine Wand sowie eine Pflanze sichtbar, die vermutlich vor einem Fenster steht. Von Braunschweig wurde leicht von der Seite fotografiert und blickt über ihre Zeitung hinweg rechts an der Kamera vorbei.
Kontext:
Dieses Porträt der Theaterschauspielerin und -Regisseurin Rosa von Braunschweig (1846–1918) war Teil der Bilderwand „Sexuelle Zwischenstufen“, die vermutlich zum ersten Mal 1922 auf der „Hundertjahrfeier deutscher Naturforscher und Ärzte“ in Leipzig gezeigt wurde. Der Gründer des Instituts Magnus Hirschfeld wollte mit der Bilderwand seine um 1910 vorgelegte „Zwischenstufentheorie“ veranschaulichen und untermauern.
Sehr verkürzt gesagt, beschreibt das Konzept der Zwischenstufen die Tatsache, dass jedes Individuum sowohl „männlich“ als auch „weiblich“ ausgeprägte Eigenschaften vereint, die einen oder mehrere der vier Bereiche betreffen können: 1. die Geschlechtsorgane, 2. sonstigen körperlichen Eigenschaften, 3. den Geschlechtstrieb und/oder 4. sonstigen seelischen Eigenschaften.
Mit diesem Konzept verlagerte Hirschfeld bereits 1907 das biologisch-genitale Geschlecht hin zu einem, das u. a. auch auf der erlebten Identität beruhte. Damit ebnete die „Zwischenstufentheorie”, die „während der Institutszeit die wissenschaftliche Leitidee für die meisten Mitarbeiter“ blieb, den Weg für das Verständnis von sexueller Vielfalt und Variabilität. (vgl. Herrn, R. (2022): Der Liebe und dem Leid, Suhrkamp, S. 31). Einher ging damit auch eine Entpathologisierung und Entkriminalisierung des vermeintlich Abweichenden, von Menschen also, die außerhalb der gesellschaftlichen Norm standen.