Schwarz-Weiß-Fotografie von Josef Meißauer. Meißauer steht vor einem neutralen Hintergrund und ist vom Kopf bis knapp über die Knie zu sehen. Er bzw. sie trägt einen Hut auf dem Kopf, einen Anzug, darunter ein Hemd mit Krawatte und eine Weste. Meißauer ist leicht seitlich aufgenommen, der Kopf ist in Richtung der Kamera gedreht, der Blick geht geradeaus.
Kontext:
Das Bild stammt aus einer Reihe von mindestens zwei Fotos, die meist zusammen abgedruckt wurden und Meißauer einmal in Frauenkleidung und einmal in Männerkleidung zeigen.
Der Kaufmann Josef Meißauer wurde in Bayern wiederholt verhaftet, weil er in der Öffentlichkeit Frauenkleider trug. 1911 erhielt er von dem Berliner Sexualwissenschaftler und Sexualreformer Magnus Hirschfeld einen sog. „Transvestitenschein“, der ihn vor Festnahmen wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ schützen sollte. „Transvestitenscheine“ legitimierten ihre Träger bzw. Trägerinnen, dauerhaft „gegengeschlechtliche“ Kleidung zu tragen, wodurch es Menschen möglich wurde, sich gemäß ihrer Geschlechtsidentität zu kleiden. Meißauer soll die erste Person gewesen sein, die 1911 aufgrund eines Gutachtens von Magnus Hirschfeld und Iwan Bloch (ebenfalls Arzt, Sexualwissenschaftler und Sexualreformer) eine solche polizeiliche Legitimation erhielt.
Dieses Foto war Teil der Bilderwand „Sexuelle Zwischenstufen“, die vermutlich zum ersten Mal 1922 auf der „Hundertjahrfeier deutscher Naturforscher und Ärzte“ in Leipzig und dann im Institut für Sexualwissenschaft gezeigt wurde. Der Gründer des Instituts, Magnus Hirschfeld, wollte mit der Bilderwand seine um 1910 vorgelegte „Zwischenstufentheorie“ veranschaulichen und untermauern.
Sehr verkürzt gesagt, beschreibt das Konzept der Zwischenstufen die Tatsache, dass jedes Individuum sowohl „männlich“ als auch „weiblich“ ausgeprägte Eigenschaften vereint, die einen oder mehrere der vier Bereiche betreffen können: 1. die Geschlechtsorgane, 2. sonstige körperliche Eigenschaften, 3. den Geschlechtstrieb und/oder 4. sonstige seelische Eigenschaften.
Mit diesem Konzept verlagerte Hirschfeld bereits 1907 das biologisch-genitale Geschlecht hin zu einem, das u. a. auch auf der erlebten Identität beruhte. Damit ebnete die „Zwischenstufentheorie”, die „während der Institutszeit die wissenschaftliche Leitidee für die meisten Mitarbeiter“ blieb, den Weg für das Verständnis von sexueller Vielfalt und Variabilität. (vgl. Herrn, Rainer (2022): Der Liebe und dem Leid, Suhrkamp, S. 31). Einher ging damit auch eine Entpathologisierung und Entkriminalisierung des vermeintlich Abweichenden, von Menschen also, die außerhalb der gesellschaftlichen Norm standen.